Barbara Rett über den Triumpf von Jonas Kaufmann an der Mailander Scala mit Puccini.
40 Minuten Applaus und Standing Ovations! Was am 14. Juni dieses Jahres in der Mailänder Scala abgegangen ist, fällt in die Kategorie Weltwunder. Denn die Scala ist gefürchtet dafür, dass dort Generationen und Legionen von Sängern ausgepfiffen wurden – und werden. Vor allem nicht-italienische Sänger, die es wagen, in den heiligen Hallen mit italienischen Partien aufzutreten. Puccini also?! Was für ein Husarenstück von einem, der nicht nur kein Italiener, sondern noch dazu Deutscher ist – also das sprichwörtliche „rote Tuch“ für die Mailänder Verdi- und Puccini-Fans. Doch der deutsche Startenor kam, sang und siegte – sein Puccini-Abend wurde eine Sensation und vom Publikum und Orchester frenetisch gefeiert. Hat er damit gerechnet, frage ich Jonas Kaufmann? „Gerechnet nein, aber gehofft natürlich“, ist die Antwort.
Kaum zu glauben, dass Jonas Kaufmann auch einmal ein schüchterner und unsicherer junger Mann war, einer, der sogar ernsthaft darüber nachdachte, den Sängerberuf wieder an den Nagel zu hängen. Falsche Lehrer, falsche Technik, falsche Ideale im Kopf – klingen wie Fritz Wunderlich oder Franco Corelli etwa … „Wenn es mich packte und ich versuchte loszuschmettern, wurde ich sorfort zurückgepfiffen. Meine ganze Ausbildung stand unter dem Motto: ‚Bloß alles vorsichtig und leise, sonst machst du dir die Stimme kaputt‘.“ Bis er eines Tages einem kleinen Kerl in Turnschuhen begegnet, siebzig Jahre alt und früher selbst ein berühmter Sänger: Josef Metternich. Nach der ersten Stunde sagt er ihm in breitestem Kölscher Dialekt: „Hör mal, Jungschen, isch wird’ dat Tier in dir wecken! Und wenn dat einmal rausjelassen is, dann jeht dat nich mehr rein in die Kiste!“ Es hat noch andere Lehrer gebraucht, aber Jonas Kaufmann ist dazu gekommen, die besondere, dunkle Farbe seiner Tenorstimme zu akzeptieren, die gleichzeitig mit einer strahlenden Höhe verbunden ist, und seine Lust freizusetzen, auch mal „die Sau rauszulassen“, wie er lachend meint. Denn wer das nicht gezielt kann, kann weder „Nessun dorma“ noch „E lucevan le stelle“ überzeugend singen!
Der Mailänder Puccini-Abend wurde – auf volles Risiko, weil keine Korrekturen möglich – auf DVD mitgeschnitten und was man da erlebt, lässt einen schlichtweg staunen. Berühmte und kaum bekannte Arien, gewaltige tenorale Ausbrüche und zarteste Piani, Liebe und Leidenschaft, Glück und Verzweiflung – ein gewaltiges und von keinem anderen Sänger der Welt derzeit bewältigbares Programm. Ein Orchester, das zusehends in Fahrt kommt, ein Publikum, das sich verzaubern lässt und ein Sänger, der das Wunder dieses Abends in vollkommener Bescheidenheit und Schlichtheit annimmt. Ohne Starallüren, ohne Eitelkeit, ohne Brimborium. Kein Zweifel, „dat Tier jeht nich mehr rein in die Kiste“. Und ich wette, Jonas Kaufmann wird uns auch in Zukunft weiterhin überraschen!
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Fotos: Ernst Kainerstorfer